Ob man vor dem Sterben fliehen möge (1527)
Von Martin Luther
Von August bis November 1525 wütete in Breslau die Pest. Der Rat der Stadt erließ strenge
Verordnungen, um sie aufzuhalten, besonders gegen solche Kranken, die leichtsinnig die Gesunden ansteckten. Wer konnte, floh vor der Seuche und verließ die Stadt. So entstand auch bei den evangelischen Pfarrern das Problem, ob man vor diesem Sterben fliehen dürfe. Sie stellten diese Frage auch an Luther. Nachdem die Antwort auf sich warten ließ, wiederholten sie ihre Anfrage. Inzwischen wurde auch Wittenberg von der Pest bedroht. Während Luther, durch mancherlei andere Krankheit mitgenommen, mit Unterbrechungen an der Schrift arbeitete (Ende Juli bis Ende Oktober 1527), kam die Pest in Wittenberg tatsächlich zum Ausbruch (August bis Dezember 1527). Als selbst die Universität, Professoren wie Studenten, nach Jena übersiedelten, mahnte Luther, nicht allzu zaghaft zu werden. Er blieb trotz der Aufforderung des Kurfürsten Johann, ebenfalls nach Jena überzusiedeln, mit Bugenhagen und zwei Kaplänen in Wittenberg, hielt Vorlesungen und Predigten und versah seinen Dienst als Seelsorger an den Bedürftigen. Die Schrift zeigt klar, wie der Glaube die Freiheit zum Handeln, die
Liebe aber die Freiheit zum Leiden gibt. Luther geht einen Weg, der Feigheit genauso wie Fatalismus vermeidet. — WA 23; 338-379.

Dem würdigen Herrn Doktor Johannes Heß, Pfarrherrn zu Breslau, zusammen mit seinen Mitdienern am Evangelium Christi. Martinus Luther.
Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Eure Frage, die ihr hierher nach Wittenberg zu uns geschickt habt, nämlich, ob es einem Christenmenschen gezieme, zu fliehen bei einem allgemeinen Sterben, haben wir längst empfangen, und wir sollten auch schon längst darauf geantwortet haben. Aber Gott der Allmächtige hat mich für einige Zeit in der Zucht und unter der Rute so hart gehalten, daß ich nicht viel lesen und schreiben konnte. So habe ich auch gedacht: Weil Gott der Vater aller Barmherzigkeit euch so reichlich begabt hat mit allerlei Verständnis und Wahrheit in Christus, würdet ihr durch seinen Geist und seine Gnade wohl allein und ohne unser Zutun solche und wohl auch größere Fragen entscheiden und richten.
Da ihr aber nicht ablaßt zu drängen und ihr euch so sehr demütigt, daß ihr auch unsere Meinung hierüber zu wissen begehrt, damit (wie St. Paulus überall lehrt) derselbe Sinn und dieselbe Lehre bei uns allen gefunden werden (1.Kor.1,10; 2.Kor.13,11; Phil.2,2), geben wir euch hiermit unsere Meinung zu erkennen, soweit Gott uns Gnade verleiht und wir begreifen. Und wir wollen sie mit aller Demut eurem Verständnis und dem aller frommen Christen, wie sich’s gebührt, unterwerfen, damit ihr darüber richtet und urteilt. Und nachdem auch hier bei uns und noch anderswo das Geschrei wegen des Sterbens sich erhebt, haben wir sie im Druck veröffentlicht, in der Hoffnung, daß vielleicht auch andere solchen Unterricht von uns begehren und gebrauchen möchten.
Zunächst stehen etliche fest auf dem Standpunkt, man dürfe und solle in Sterbensgefahr nicht fliehen. Sondern weil das Sterben eine Strafe Gottes ist, uns zugeschickt um unserer Sünde willen, solle man Gott stille halten und die Strafe geduldig in rechtem, festem Glauben erwarten. Sie [227] halten das Fliehen schier für Unrecht und Unglauben an Gott. Die andern aber meinen, man dürfe wohl fliehen, besonders die, welche nicht mit Ämtern behaftet sind.
Die ersten kann ich ihrer guten Absicht wegen nicht tadeln. Denn sie rühmen eine gute Sache, nämlich einen starken Glauben, und sind darin zu loben, daß sie gern alle Christen im starken, festen Glauben haben wollten. Es gehört auch nicht bloß ein Milchglaube (1.Kor.3,2) dazu, daß man den Tod erwarte, vor welchem sich auch fast alle Heiligen entsetzt haben und noch entsetzen. Und wer wollte die nicht loben, die mit Ernst so gesinnt sind, daß sie den Tod nicht groß achten und sich willig unter Gottes Rute ergeben, sofern auch das ohne Versuchung Gottes geschieht, wie wir hören werden.
Aber weil es unter den Christen so ist, daß es wenige Starke und viele Schwache gibt, kann man zweifellos nicht allen dasselbe zu tragen aufladen. Ein Starkgläubiger kann Gift trinken, und es schadet ihm nichts (Mark.16,18), ein Schwachgläubiger aber tränke sich den Tod daran. Petrus konnte auf dem Meer gehen, solange er stark im Glauben war; aber als er zweifelte und schwach im Glauben wurde, sank er ein und drohte zu ertrinken. Wenn ein Starker mit einem Schwachen zusammen wandert, muß er sich wahrlich darein fügen, daß er nicht seiner Stärke entsprechend laufe, er liefe sonst den Schwachen bald zu Tode. Nun will Christus aber seine Schwachen nicht verworfen haben, wie Paulus Röm.15,1 und 1.Kor.12,22 lehrt.
Und daß wir’s kurz und genau sagen: Das Sterben und den Tod fliehen kann auf zweierlei Weise geschehen. Zunächst, wenn es gegen Gottes Wort und Befehl geschieht, z. B. wenn jemand um des Wortes Gottes willen gefangen wäre und Gottes Wort verleugnete oder widerriefe, damit er dem Tode entliefe. In solchem Fall hat jedermann einen öffentlichen Befehl und ein Gebot von Christus, daß er nicht fliehen, sondern lieber sterben soll, [228] wie er Matth.10,33 sagt: »Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich wieder verleugnen vor meinem Vater im Himmel«, und Matth. 10,28: »Fürchtet nicht die, die den Leib töten und danach nichts haben, das sie tun« usw.
Ebenso sind die, die im geistlichen Amt sind, wie Prediger und Seelsorger, auch schuldig, in
Sterbens- und Todesnöten zu stehen und zu bleiben. Denn da steht ein öffentlicher Befehl Christi: »Ein guter Hirte läßt sein Leben für seine Schafe; aber ein Mietling sieht den Wolf kommen und flieht.« (Joh.10,12) Denn im Sterben bedarf man des geistlichen Amtes am allermeisten, das mit Gottes Wort und Sakrament die Gewissen stärke und tröste, um den Tod im Glauben zu überwinden. Doch wenn so viele Prediger vorhanden wären und sie sich untereinander selbst einigten, daß sie etliche unter sich wegzuziehen ermahnten, weil die ohne Notwendigkeit in solcher Gefahr blieben, meine ich: Es wäre nicht Sünde, weil das Amt noch genügend versorgt wäre und sie, wenn es notwendig wäre, willig und bereit sind, zu bleiben. Gleichwie man von St. Athanasius liest, daß er von seiner Kirche floh, damit sein Leben errettet würde, weil viele andere da waren, die das Amt wahrnahmen. Ebenso ließen die Brüder zu Damaskus Paulus in einem Korb über die Mauer, damit er floh (Apg.9,25). Und Apg.19,30 ließ er sich durch die Jünger aufhalten, damit er sich nicht auf den Markt in die Gefahr begab, weil es nicht nötig war.
Demnach sind auch alle die, welche in weltlichen Ämtern sind, wie Bürgermeister und Richter und dergleichen, schuldig zu bleiben. Denn da gilt wiederum Gottes Wort, das die weltliche Obrigkeit einsetzt und befiehlt, die Stadt und das Land zu regieren, zu schützen und zu verwalten, wie Paulus Röm.13,6 sagt: »Die Obrigkeit ist Gottes Dienerin, Frieden zu handhaben« usw. Denn es ist eine sehr große Sünde, eine ganze Gemeinde, die jemandem zu versorgen befohlen ist, so ohne Haupt und Regiment sitzen zu lassen in aller Gefahr, wie Feuer, Mörder, Aufruhr und allerlei Unfall, den der Teufel anrichten könnte, weil keine Ordnung da ist. Und Paulus sagt: »Wer die Seinen nicht versorgt, verleugnet den Glauben und ist ärger als ein Heide.« (1.Tim.5,8) Fliehen sie aber doch aus großer Schwachheit, so sollen sie zusehen und an ihre Stelle ausreichende Verwalter setzen, damit die Gemeinde wohl versorgt und gesichert sei, wie oben gesagt ist, und fleißig danach forschen und darauf sehen, daß es so zugehe.
Was nun von diesen zwei Ämtern gesagt ist, soll auch von allen anderen Personen gelten, die durch Dienst oder Pflicht einander verbunden sind. Ein Knecht z. B. soll nicht von seinem Herrn fliehen noch eine Magd von ihrer Frau, es sei denn mit Wissen und Erlaubnis des Herrn oder der Frau. Umgekehrt soll ein Herr seinen Knecht nicht verlassen noch eine Frau ihre Magd, es sei denn, daß sie diese auf andere Weise und anderswo genügend versorgen. Denn in allen diesen Stücken ist es Gottes Gebot, daß Knechte und Mägde gehorsam sein sollen und gebunden sind. Umgekehrt sollen Herren und Frauen ihre Leute versorgen. Ebenso sind auch Vater und Mutter gegenüber den Kindern und umgekehrt die Kinder gegen Vater und Mutter durch Gottes Gebot gebunden, zu dienen und zu helfen usw. Ebenso, was öffentliche Personen sind, auf Sold und Lohn verpflichtet, wie ein Stadtarzt, Stadtdiener, Söldner und wie sie genannt werden mögen: Sie dürfen nicht fliehen, ohne andere tüchtige und ausreichende Leute für ihre Stelle zu bestimmen, die dann von den Herren angenommen werden sollen.
Denn wo keine Eltern sind, da sind auch die Vormünder und die nächste Freundschaft schuldig, bei ihren Freunden zu bleiben, oder sie sollen mit Fleiß dafür sorgen, daß an ihrer Statt andere da sind, die ihre kranken Freunde versorgen. Ja, es darf kein Nachbar vom anderen fliehen, wenn nicht Menschen da sind, die die Kranken an [230] ihrer Statt warten und pflegen können. Denn in diesen Fällen ist in jeder Hinsicht das Wort Christi zu fürchten: »Ich bin krank gewesen, und ihr besucht mich nicht« usw. (Matth.25,43) Durch dieses Wort sind wir alle aneinander gebunden, daß keiner den anderen in seinen Nöten verlassen soll, sondern schuldig ist, ihm beizustehen und zu helfen, wie er möchte, daß ihm selber geholfen würde.
Wo aber keine solche Not ist und sonst genug vorhanden sind, die pflegen und versorgen — sei es aufgrund ihrer Verpflichtung oder aus freiem Willen oder seien sie auf Veranlassung der Schwachgläubigen dazu bestellt —, so daß man sie nicht dazu braucht; und wenn es vor allem die Kranken nicht haben wollen, sondern ablehnen: da meine ich, es sei frei, zu fliehen oder zu bleiben. Ist jemand so mutig und stark im Glauben, der bleibe im Namen Gottes, er sündigt dadurch gewiß nicht. Ist aber jemand schwach und furchtsam, der fliehe im Namen Gottes, weil er solches ohne Vernachlässigung seiner Pflicht gegen seinen Nächsten tut und dieser mit genügender Vertretung durch andere versorgt und versehen ist. Denn Sterben und Tod zu fliehen und das Leben zu retten, ist natürlich, von Gott eingepflanzt und nicht verboten, wenn es nicht gegen Gott und den Nächsten ist, wie Paulus Eph.5,29 sagt: »Niemand haßt sein Fleisch, sondern wartet und pflegt es.« Ja, es ist geboten, daß jeder seinen Leib und sein Leben bewahre und nicht verwahrlose, soviel er nur kann, wie Paulus 1.Kor.12,21 ff. sagt, daß Gott die Gliedmaßen am Leibe eingesetzt hat, damit immer eins für das andere sorgt und schafft.
Ist’s doch auch nicht verboten, sondern vielmehr geboten, daß wir im Schweiße unseres
Angesichts unsere tägliche Nahrung, Kleidung und allen Bedarf suchen (1.Mose 3,19) und
Schaden oder Not meiden, wo wir können, sofern solches ohne Schaden oder Nachteil der Liebe und Pflicht gegen unseren Nächsten geschehe. Wieviel angemessener ist es dann, daß man das Leben zu [231] erhalten suche und den Tod fliehe, wenn es ohne Nachteil des Nächsten sein kann, zumal Leib und Leben ja mehr sind als Speise und Kleider, wie Christus Matth.6,25 selbst sagt. Ist aber jemand so stark im Glauben, daß er freiwillig Blöße, Hunger und Not, ohne Gott zu versuchen, leiden kann, und sich nicht herausarbeiten will, wenn er’s auch könnte, der fahre seines Weges auch und verdamme die nicht, die solches nicht tun oder nicht tun können.
Daß aber den Tod fliehen an sich nicht unrecht sei, beweisen genügend die Beispiele der Schrift: Abraham war ein großer Heiliger; dennoch fürchtete er den Tod und floh vor ihm, mit dem Vorwand, daß er sein Weib Sara seine Schwester nannte (1.Mose 12,12 ff.). Aber weil er das ohne seines Nächsten Nachteil oder Vernachlässigung tat, wird’s ihm für keine Sünde gerechnet. Dasselbe tat sein Sohn Isaak auch (1.Mose 26,7). Ebenso floh Jakob vor seinem Bruder Esau, damit er nicht getötet würde (1.Mose 27,43 ff.). Ebenso floh David vor Saul
(1.Sam.19,10 ff.) und Absalom (2.Sam.15,14). Und der Prophet Uria floh vor dem König Jojakim nach Ägypten (Jer.26,21). Auch Elia (1.Kön.19,3), der kühne Prophet, fürchtete sich doch und floh in die Wüste, als er die Propheten Baals alle in großem Glauben erwürgt hatte und als ihm die Königin Isebel drohen ließ. Und vor ihm Mose: Als ihn der König in Ägypten suchte, floh er ins Land Midian (2.Mose 2,15), und so weiter viele andere. Diese aber sind vor dem Tode geflohen, wo sie es gekonnt haben, und haben das Leben gerettet, jedoch so, daß sie dem Nächsten damit nichts entwendet haben, sondern sie haben zuvor ausgerichtet, was sie schuldig waren.
Ja, wendest du ein, diese Beispiele reden nicht vom Sterben oder der Pest, sondern vom Tode, der durch Verfolgung kommt. Antwort: Tod ist Tod, er komme, wodurch er komme. So nennt Gott in der Schrift seine vier Plagen: Pest, Hunger, Schwert und wilde Tiere (Hes.14,21). Kann man nun vor einer von ihnen oder vor [232] einigen mit Gott und gutem Gewissen fliehen, warum nicht auch vor allen vieren? Die vorigen Beispiele zeigen, wie die lieben heiligen Väter vor dem Schwert geflohen sind. Ebenso ist es ja deutlich genug, daß Abraham, Isaak und Jakob vor der anderen Plage flohen, nämlich dem Hunger und der Teuerung, als sie um der Teuerung willen nach Ägypten zogen, wie wir im 1. Buch Mose lesen. Warum sollte man also nicht vor den wilden Tieren fliehen? So höre ich wohl: Wenn ein Krieg oder der Türke käme, so sollte niemand aus einem Dorf oder Städtchen fliehen, sondern dort auf die Strafe Gottes durch’s Schwert warten. Das ist wohl wahr: Wer so stark im Glauben ist, der warte darauf; aber er verdamme die nicht, die fliehen.
So auch: Wenn ein Haus brennte, dürfte niemand herauslaufen oder herzulaufen, um zu retten, denn Feuer ist auch eine Strafe Gottes. Und wer in ein großes Wasser fiele, dürfte nicht ans Ufer schwimmen, sondern müßte sich dem Wasser als göttlicher Strafe überlassen. Wohlan, kannst du es tun, so tue es und versuche Gott nicht; laß aber die andern tun, was sie können. Ebenso wenn einer ein Bein bräche oder verwundet oder gebissen wäre, dürfte er’s nicht heilen lassen, sondern müßte sagen: Es ist Gottes Strafe, die will ich tragen, bis es von selber heilt. Frost im Winter ist auch Gottes Strafe, an der man sterben könnte. Warum läufst du zum Feuer oder in die Stube? Sei stark und bleibe im Frost, bis es wieder warm wird! Auf diese
Weise dürfte man weder Apotheke noch Arznei noch Ärzte haben, denn alle Krankheiten sind Gottes Strafe. Hunger und Durst sind auch eine große Strafe und Marter — warum ißt du und trinkst du denn und läßt dich nicht damit strafen, bis es von selber aufhört? Zuletzt sollten uns solche Reden wohl dahin bringen, daß wir das Vaterunser abtäten und nicht mehr beteten: »Erlöse uns von dem Bösen, Amen«; zumal alles Böse auch Gottes Strafe ist. Und wir dürften in Zukunft auch nicht gegen [233] die Hölle bitten noch sie meiden, denn die ist auch Gottes Strafe. Was wollte hieraus werden?
Aus dem allen nehmen wir solche Belehrung: Wir sollen gegen alles Übel bitten und uns auch davor hüten, wie wir können; jedoch so, daß wir damit nicht gegen Gott handeln, wie oben gesagt ist. Will uns Gott drinnen haben und erwürgen, so wird uns unser Hüten nichts helfen. Ein jeder stelle sein Herz so: Ist er gebunden, so daß er bei Sterbensgefahr an seinem Ort bleiben muß, seinem Nächsten zu Dienst, so befehle er sich Gott und spreche: Herr, in deiner Hand bin ich, du hast mich hier angebunden, dein Wille geschehe. Denn ich bin deine arme
Kreatur, du kannst mich hierin töten und erhalten, ebenso gut, als wenn ich etwa im Feuer, Wasser, Durst oder anderer Gefahr angebunden wäre. Ist er aber frei und kann fliehen, so befehle er sich auch dann Gott und spreche: Herr Gott, ich bin schwach und furchtsam, darum fliehe ich vor dem Übel und tue soviel dazu, wie ich kann, daß ich mich davor hüte. Aber ich bin trotzdem in deiner Hand, in diesem und allem Übel, die mir begegnen können, dein Wille geschehe. Denn meine Flucht wird’s nicht tun, zumal ja überall nur Übel und Gefahr sind; denn der Teufel feiert und schläft nicht, der von Anfang an ein Mörder ist und immer nur Mord und Unglück anzurichten sucht.
Denn auf diese Weise müssen wir uns verhalten und sind wir schuldig, an unserem Nächsten auch in allen anderen Nöten und Gefahren zu handeln. Brennt sein Haus, so ruft mich die Liebe, hinzulaufen und löschen zu helfen; ist sonst genug Volk da, das löschen kann, kann ich heimgehen oder da bleiben. Fällt er in ein Wasser oder in eine Grube, so darf ich nicht weg-, sondern muß hinzulaufen, wie ich kann, und ihm helfen; sind andere da, die es tun, so bin ich frei. Sehe ich, daß er hungert oder dürstet, so darf ich ihn nicht verlassen, sondern muß ihn speisen und tränken und darf nicht die Gefahr ansehen, ob ich dadurch arm oder geringer werde. Denn wer dem andern nicht eher helfen und beistehen will, als bis er es ohne Gefahr und Schaden für sein Gut oder seinen Leib tun könne, der wird seinem Nächsten nie helfen, denn es wird allezeit so aussehen, als sei es ihm selbst ein Abbruch, Gefahr, Schaden oder Versäumnis. Kann doch kein Nachbar bei dem andern wohnen ohne Gefahr des Leibes, Gutes, Weibes und Kindes, denn er muß es mit ihm wagen, daß ein Feuer oder anderer Unfall aus seines Nachbars Haus komme und ihn mit Leib, Gut, Weib und Kind und allem, was er hat, verderbe.
Denn wenn einer dem anderen das nicht täte, sondern seinen Nächsten so in Nöten liegen ließe und von ihm flöhe, der ist vor Gott ein Mörder, wie 1.Joh.3,15 sagt: »Wer seinen Bruder nicht liebt, der ist ein Mörder«; und wiederum: »So jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Nächsten Not leiden, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?« (v.17) Denn das ist auch eine der Sünden, die Gott der Stadt Sodom zurechnet, wenn er durch den Propheten Hesekiel spricht: »Siehe, das war die Sünde deiner Schwester Sodom: Müßiggang, Fülle und Genüge, und reichten dem Armen die Hand nicht.« (16,49) So wird auch Christus sie am Jüngsten Tage als Mörder verdammen, wenn er sprechen wird: »Ich war krank, und ihr besuchtet mich nicht.« (Matth.25,43) Wenn aber die so verurteilt werden sollen, die nicht zu den Armen und Kranken hingehen und ihre Hilfe anbieten — wie wird’s dann erst denen gehen, die von ihnen weglaufen und sie liegen lassen wie die Hunde und Säue? Ja, wie wird’s denen gehen, die den Armen noch dazu nehmen, was sie haben, und ihnen alle Plage zufügen, wie es jetzt die Tyrannen mit den armen Leuten tun, die das Evangelium annehmen? Aber laß es gehen, sie haben ihr Urteil.
Wohl ist es wahr: Wo ein solch sorgfältiges Regiment in Städten und Ländern ist, daß man allgemeine Häuser und Hospitäler halten und mit Leuten, die sie pflegen, [235] versorgen kann, in die man aus allen Häusern alle Kranken verordnete — wie es unsere Vorfahren mit so vielen Stiften, Spitälern und Siechenhäusern gewiß gesucht und gemeint haben —, so daß nicht jeder Bürger in seinem Hause ein Spital halten müßte: Das wäre wohl fein, löblich und christlich. Dazu sollte auch billigerweise jeder reichlich geben und helfen, besonders die Obrigkeit. Wo es das aber nicht gibt — wie es denn an wenigen Orten so ist —, da müssen wir wahrhaftig einer des anderen Spitalmeister und Pfleger in seinen Nöten sein, bei Verlust der Seligkeit und der Gnade Gottes. Denn da steht Gottes Wort und Gebot: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« (Matth.22,39), und Matth.7,12: »Was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch.«
Wo nun das Sterben hinkommt, da sollen wir, die bleiben, uns rüsten und trösten, besonders die wir aneinander gebunden sind (wie oben aufgeführt ist), so daß wir uns nicht verlassen noch voneinander fliehen können. Erstens damit, daß wir gewiß sind, es sei Gottes Strafe, uns zugeschickt, nicht allein um die Sünde zu strafen, sondern auch um unseren Glauben und unsere Liebe zu erproben — den Glauben, damit wir sehen und erfahren, wie wir uns gegen Gott stellen, die Liebe aber, auf daß man sehe, wie wir uns gegen den Nächsten stellen. Denn obwohl ich meine, daß alle Pest durch die bösen Geister unter die Menschen gebracht wird, wie auch andere Plagen, die die Luft vergiften oder uns sonst mit einem bösen Odem anblasen und damit die tödlichen Gifte in das Fleisch schießen, so ist es doch gleichwohl Gottes Verhängnis und seine Strafe, der wir uns mit Geduld unterwerfen und in welcher wir unserem Nächsten zu Dienst unser Leben so der Gefahr aussetzen sollen, wie 1.Joh.3,16 lehrt und spricht: »Hat Christus sein Leben für uns gegeben, so sollen wir auch für die Brüder unser Leben lassen.«
Wenn aber jemanden das Grauen und die Scheu vor den Kranken befällt, der soll sich einen Mut fassen und [236] sich so stärken und trösten, daß er nicht zweifle, es sei der Teufel, der solche Scheu, Furcht und Grauen im Herzen erregt. Denn so ein bitterböser Teufel ist es, daß er nicht alleine ohne Unterlaß zu töten und zu morden versucht, sondern seine Freude daran hat, daß er uns scheu, erschreckt und verzagt vor dem Tode mache, damit uns der Tod ja äußerst bitter werde oder wenigstens das Leben keine Ruhe noch Frieden habe und er uns so mit Dreck aus diesem Leben hinausstoße. Wenn er’s zuwege bringen könnte, daß wir an Gott verzweifelten, unwillig und unbereit zum Sterben würden und in solcher Furcht und Sorge, wie im dunklen Wetter, Christus, unser Licht und Leben, vergäßen und verlören und den Nächsten in Nöten ließen und uns so an Gott und den Menschen versündigten: Das wäre seines Herzens Lust.
Weil wir denn wissen, daß solches Schrecken und Fürchten des Teufels Spiel ist, so sollen wir umgekehrt uns dessen nur desto weniger annehmen, ihm zum Trotz und Verdruß einen frischen Mut fassen und seinen Schrecken auf ihn zurücktreiben und von uns weisen und uns mit solcher Rüstung wehren und sagen: Hebe dich von dannen, Teufel, mit deinem Schrecken! Und weil dich’s verdrießt, so will ich dir zum Trotz nur desto eher zu meinem kranken Nächsten hingehen, ihm zu helfen, und will dich nicht ansehen, und will gegen dich auf zwei Dinge pochen.
Das erste ist, daß ich wahrhaftig weiß, daß dieses Werk Gott und allen Engeln wohlgefällt und daß ich in seinem Willen und rechten Gottesdienst und Gehorsam gehe, wo ich’s tue. Und gerade deshalb, weil es dir so übel gefällt und du dich so hart dagegen stellst, muß es allerdings Gott besonders gefallen. Wie willig und fröhlich wollte ich’s tun, wenn’s nur einem Engel wohlgefiele, der mir zusähe und sich dabei über mich freute. Nun, wo es aber meinem
Herrn Jesus Christus und dem ganzen himmlischen Heere wohlgefällt und Gottes, meines Vaters, Willen und Gebot [237] ist — was sollte mich dein Schrecken denn bewegen, daß ich solche Freude im Himmel und solche Lust meines Herrn verhindern und dir mit deinen Teufeln in der Hölle ein Gelächter und Gespött über mich anrichten lassen und dich begünstigen sollte? Nicht so, du sollst’s nicht zu Ende bringen! Hat Christus sein Blut für mich vergossen und sich um meinetwillen in den Tod gegeben, warum sollte ich mich nicht auch um seinetwillen in eine kleine Gefahr begeben und eine ohnmächtige Pest nicht anzusehen wagen? Kannst du schrecken, so kann mein Christus stärken; kannst du töten, so kann Christus Leben geben; hast du Gift im Maul, Christus hat noch viel mehr Arznei. Sollte mein lieber Christus mit seinem Gebot, mit seiner Wohltat und allem Trost nicht mehr in meinem Geist gelten als du leidiger Teufel mit deinem falschen Schrecken in meinem schwachen Fleisch? Das wolle Gott nimmermehr! Hebe dich, Teufel, hinter mich. Hier ist Christus, und ich bin sein Diener in diesem Werke; der soll’s walten! Amen.
Das andere ist die starke Verheißung Gottes, womit er alle die tröstet, die sich der Bedürftigen annehmen, Ps.41,2-4 sagt: »Wohl dem, der sich des Bedürftigen annimmt! Den wird der Herr erretten zur bösen Zeit. Der Herr wird ihn bewahren und beim Leben erhalten und es ihm lassen wohlgehen auf Erden und wird ihn nicht geben in seiner Feinde Willen. Der Herr wird ihn erquicken auf dem Bette seines Siechtums; sein ganzes Lager wandelst du in seiner Krankheit.« Sind das nicht herrliche, mächtige Verheißungen Gottes, in Haufen ausgeschüttet auf die, die sich der Bedürftigen annehmen? Was sollte einen doch schrecken oder bewegen gegen solchen großen Trost Gottes? Es ist wahrhaft ein geringer Dienst, den wir an den Bedürftigen im Vergleich zu solcher Verheißung und Vergeltung Gottes tun können, so daß Paulus mit Recht zu Timotheus sagt: »Die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nützlich und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.« (1.Tim.4,8) Gottseligkeit ist nichts anderes als Gottesdienst; Gottesdienst ist es wirklich, wenn man dem Nächsten dient.
Es beweist auch die Erfahrung, daß die, die solchen Kranken mit Liebe, Andacht und Ernst dienen, im allgemeinen behütet werden, und wenn sie auch angesteckt werden, daß es ihnen dennoch nicht schadet; wie hier der Psalm sagt: »Sein ganzes Lager wandelst du in seiner Krankheit« (Ps.41,4), das heißt: Du machst ihm aus dem Siechbette und Krankenlager ein gesundes Lager usw. Wer aber einen Kranken aus Habgier oder um des Erbes willen pflegt und das Seine in solchem Werk sucht, da ist’s auch kein Wunder, daß er zuletzt angesteckt und beschmutzt wird, daß er hinfährt und stirbt, ehe er das Gut oder Erbe besitzt. Wer das aber auf diese tröstliche Verheißung hin tut, auch wenn er als einer, der dessen wohl bedarf, einen geziemenden Lohn dafür nimmt — zumal jeder Arbeiter seines Lohnes wert ist (Luk.10,7; 1.Tim.5,18) —, der hat hier wiederum einen großen Trost: daß er wieder gepflegt werden soll. Gott selbst will sein Pfleger, dazu auch sein Arzt sein. O welch ein Pfleger ist das! O welch ein Arzt ist das! Lieber, was sind alle Ärzte, Apotheken und Pfleger gegen Gott? Sollte einem das nicht Mut machen, zu den Kranken zu gehen und ihnen zu dienen, auch wenn so viele Beulen und Pest an ihnen wären wie Haare am ganzen Leibe und auch wenn man gleich hundertmal die Pest an seinem Halse heraustragen müßte? Was sind jede Pest und alle Teufel gegen Gott, der sich hier zum Pfleger und Arzt verbindet und verpflichtet? Pfui über dich und abermals pfui über dich, du leidiger Unglaube, daß du solchen reichen Trost verachten kannst und dich von einer kleinen Beule und ungewissen Gefahr mehr schrecken als durch solch göttliche, gewisse, treue Verheißung stärken läßt! Was hülfe es, wenn alle Ärzte da wären und alle Welt dich pflegte, Gott aber wäre nicht da? Und umgekehrt: Was schadet’s, wenn alle Welt von dir wegliefe und kein Arzt bei dir bliebe, wenn Gott aber bei dir mit solcher Verheißung bliebe? Meinst du nicht, daß du dann mit vielen tausend Engeln umgeben bist, die auf dich sehen, daß du die Pest mit Füßen treten kannst, wie im 91. Psalm steht: »Er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich bewahren auf allen deinen Wegen. Auf den Händen werden sie dich tragen, daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stößest. Auf den
Löwen und Ottern wirst du gehen und treten auf die jungen Löwen und Drachen.
Darum, liebe Freunde, laßt uns nicht so verzagt sein und unsere Leute, denen wir verpflichtet sind, nicht so verlassen und vor des Teufels Schrecken so schändlich fliehen, daran er Freude und Spott und Gott ohne Zweifel samt allen Engeln Unwillen und Unlust über uns hat. Denn das wird gewiß wiederum wahr sein:
Wer solche reichen Verheißungen und Gebote Gottes verachtet und die Seinen in Nöten verläßt, der wird an allen Geboten Gottes schuldig und wird als Mörder an seinem verlassenen Nächsten beurteilt werden. Und da werden sich dann solche Verheißungen umkehren, fürchte ich, und sich in grausames Drohen verwandeln und wird der Psalm gegen sie so gedeutet werden: Unselig ist der, der sich des Bedürftigen nicht annimmt, sondern vor ihm flieht und ihn verläßt. Denn diesen wird der Herr auch nicht erretten zur bösen Zeit, sondern wird auch von ihm fliehen und ihn verlassen. Der Herr wird ihn nicht behüten noch beim Leben erhalten und wird’s ihm nicht wohl gehen lassen auf Erden, sondern ihn in seiner Feinde Hände geben. Der Herr wird ihn nicht erquicken auf dem Bette seines Siechtums noch sein Lager verwandeln in seiner Krankheit. Denn mit welchem Maße wir messen, wird uns wieder gemessen werden (Matth.7,2), da wird nichts anderes draus. Solches ist aber schrecklich zu hören und noch schrecklicher zu erwarten und am allerschrecklichsten zu erfahren. Denn was kann da, wo Gott die Hand abtut und uns verläßt, anderes sein als nur Teufel und alles Übel? Nun kann’s nicht anders sein, wenn man so den Nächsten gegen Gottes Wort und Gebot verläßt; und es wird einem jeden gewiß so ergehen, es sei denn, er tue wirklich redliche Buße dafür.
Das weiß ich aber wohl: Wenn Christus selbst oder seine Mutter jetzt etwa krank lägen, da wäre jeder so andächtig, daß er gerne Diener und Helfer sein wollte. Da wäre jeder kühn und keck, niemand wollte fliehen, sondern alles herzulaufen. Und sie hören doch nicht, daß er selbst sagt: »Was ihr den Geringsten tut, das tut ihr mir selbst.« (Matth.25,40) Und wo er vom ersten Gebot spricht, sagt er: »Das andere Gebot ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« (Matth.22,39) Da hörst du, daß das Gebot der Liebe zum Nächsten dem ersten Gebot gleich sei, der Liebe zu Gott; und was du deinem Nächsten gegenüber tust oder unterläßt, soll soviel wie Gott selbst gegenüber getan und unterlassen heißen.
Willst du nun Christus selbst dienen und ihn pflegen, wohlan, so hast du da vor dir deinen kranken Nächsten. Gehe hin zu ihm und diene ihm, so findest du gewiß Christus an ihm, nicht nach der Person, sondern in seinem Wort. Willst und magst du aber deinem Nächsten nicht dienen, so glaube fürwahr: Wenn Christus selbst da wäre, du tätest auch genauso und ließest ihn liegen. Es ist nichts bei dir als nur falsche Gedanken, die dir eine unnütze Einbildung machen, wie du Christus dienen würdest, wenn er da wäre. Es sind alles Lügen. Denn wer Christus leiblich dienen würde, der dient seinem Nächsten auch gut.
Das sei gesagt zur Mahnung und zum Trost gegen das schändliche Fliehen und Erschrecken, womit der Teufel uns anficht, gegen Gottes Gebot an unserem Nächsten zu tun und allzusehr auf der linken Seite zu sündigen.
Umgekehrt sündigen einige allzusehr auf der rechten Seite und sind allzu vermessen und keck, so daß sie Gott versuchen und alles anstehen lassen, womit sie dem Sterben und der Pest wehren sollten. Sie verachten es, Arznei zu nehmen, und meiden die Stätten und Personen nicht, die die Pest gehabt haben und von ihr genesen sind, sondern zechen und spielen mit ihnen, wollen damit ihre Kühnheit beweisen und sagen: Es sei Gottes Strafe; wolle er sie behüten, so würde er’s wohl ohne alle Arznei und unseren Fleiß tun. Solches heißt nicht Gott vertrauen, sondern Gott versuchen. Denn Gott hat die Arznei geschaffen und die Vernunft gegeben, dem Leib vorzustehen und ihn zu pflegen, daß er gesund sei und lebe.
Wer sie nicht braucht, die er wohl hat und ohne seines Nächsten Schaden gebrauchen kann, der vernachlässigt seinen Leib selbst und sehe zu, daß er nicht vor Gott als Mörder seiner selbst beurteilt werde. Denn auf diese Weise kann jemand auch Essen und Trinken, Kleider und Haus beiseite lassen und keck sein in seinem Glauben und sagen: Wollte ihn Gott vor Hunger und Kälte behüten, werde er’s wohl ohne Speise und Kleider tun. Derselbe wäre freilich Mörder seiner selbst. Zudem ist das noch gräulicher, daß einer, der seinen Leib so vernachlässigt und die Pest nicht abwehren hilft, soviel er kann, auch viele andere beschmutzen und anstecken kann, die sonst wohl lebendig geblieben wären, wenn er seinen Leib, wie er schuldig ist, gepflegt hätte. Er würde also auch am Fall seines Nächsten schuldig und viele Male ein Mörder vor Gott. Fürwahr, solche Leute sind gerade, als wenn ein Haus in der Stadt brennt, dem niemand wehrt, sondern man läßt dem Feuer Raum, daß die ganze Stadt verbrennt, und sagt: Will’s Gott tun, so wird er die Stadt wohl ohne Wasser und Löschen behüten.
Nicht so, meine lieben Freunde, das ist nicht fein getan. Sondern gebrauche die Arznei, nimm zu dir, was dir helfen kann, räuchere Haus, Hof und Gasse, meide auch Personen und Stätten, wo dein Nächster dich nicht braucht oder wieder gesund ist, und verhalte dich wie einer, der ein allgemeines Feuer gern dämpfen helfen wollte. Denn was ist die Pest anderes als ein Feuer, das nicht Holz und Stroh, sondern Leib und Leben auffrißt? Und denke so: Wohlan, der Feind hat uns durch Gottes Zulassen Gift und tödliche Ansteckung hereingeschickt. So will ich zu Gott bitten, daß er uns gnädig sei und es abwehre. Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen, Orte und Personen meiden, wenn man mich nicht braucht, damit ich mich selbst nicht vernachlässige und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiftet und angesteckt werden und ihnen so durch meine Nachlässigkeit eine Ursache des Todes entsteht. Will mich allerdings mein Gott haben, so wird er mich wohl finden; so habe ich doch getan, was er mir zu tun gegeben hat, und bin weder an meinem eigenen noch an anderer Leute Tod schuldig. Wenn aber mein Nächster mich braucht, will ich weder Orte noch Personen meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen, wie oben gesagt ist. Sieh, das ist ein rechter, gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn oder frech ist und auch Gott nicht versucht.
Umgekehrt: Wer die Pest gehabt hat und zu Kräften kommt, soll auch selbst die Leute meiden und sie nicht ohne Not bei sich leiden wollen. Denn obwohl man ihm in seiner Not beistehen und ihn nicht verlassen soll, wie gesagt ist: Wenn er nun aber aus der Not herausgekommen ist, soll er sich auch umgekehrt gegen die anderen so verhalten, daß niemand um seinetwillen ohne Not in seine Gefahr komme und er einem anderen Ursache zum Tode gebe. »Denn wer die Gefahr liebt«, sagt der weise Mann, »der wird drinnen verderben.« (Sir.3,27) Wenn man sich so in einer Stadt verhält, daß man kühn im Glauben ist, wo es die Not der Nächsten erfordert, und umgekehrt vorsichtig, wo es nicht notwendig ist, und ein jeder das Gift abwehren hilft, womit man kann, so ist gewiß ein geringes Sterben in solcher Stadt. Aber wenn’s so zugeht, daß ein Teil allzu verzagt ist und vor seinem Nächsten in der Not flieht, der andere Teil allzu tollkühn und nicht abwehren hilft, sondern vermehrt, da hat der Teufel es gut, und es muß wohl ein großes Sterben werden. Denn auf beiden Seiten werden Gott und Mensch aufs höchste beleidigt, hier mit Versuchen, dort mit Verzagen: So jagt denn der Teufel den, der flieht, und behält gleichwohl den, der bleibt, so daß ihm niemand entläuft.
Über das hinaus sind etliche noch ärger. Sie gehen, wenn sie die Pest heimlich haben, unter die Menschen und haben solchen Glauben: Wenn sie andere Leute damit beschmutzen und vergiften könnten, würden sie sie los und gesund. Sie gehen also deshalb auf die Gassen und in die Häuser, damit sie die Pest anderen oder ihren Kindern und ihren Leuten an den Hals hängen und sich damit erretten. Ich will wohl glauben, daß der Teufel solches tut und so hilft, das Rädlein zu treiben, damit es so geht und geschieht.
Auch laß mich sagen, daß einige so heillos boshaft sind, daß sie mit der Pest allein deshalb unter die Leute oder in die Häuser laufen, weil es ihnen leid ist, daß die Pest da nicht auch ist, und sie wollen sie dahin bringen — gerade als wäre die Sache ein solcher Scherz, als wenn man jemandem zum Spaß Läuse in den Pelz oder Fliegen in die Stube setzt. Ich weiß nicht, ob ich’s glauben soll. Ist’s wahr, so weiß ich nicht, ob wir Deutschen Menschen oder selbst Teufel sind. Zwar findet man über alle Maßen unverschämte, böse Leute; ebenso ist der Teufel auch nicht faul. Aber mein Rat ist, wo man solche findet, daß sie der Richter beim Kopfe nimmt und sie Meister Hans, dem Henker, überantwortet, als rechte, mutwillige Mörder und Bösewichte. Was sind solche Leute anders als rechte Meuchelmörder in der Stadt? Sie sind wie die Meuchelmörder, stoßen hier und dort ein Messer durch einen hindurch, und es soll dennoch niemand getan haben. So stecken sie auch hier ein Kind, da ein Weib an, und niemand soll es getan haben. Sie gehen dennoch lachend dahin, als hätten sie es gut gemacht. Bei dieser Weise wäre es besser, bei wilden Tieren zu wohnen als bei solchen Mördern. Diesen Mördern weiß ich nicht zu predigen, sie achten’s nicht. Ich befehl’s der Obrigkeit, daß sie zusehe und mit Hilfe und Rat, nicht der Ärzte, sondern Meister Hansens, Abhilfe schaffe.
Hat nun Gott selbst im Alten Testament (3.Mose 13 ff.) befohlen, die Aussätzigen aus der Gemeinde zu tun und sie draußen vor der Stadt wohnen zu lassen, um die Ansteckung zu vermeiden, so sollten wir noch viel mehr so tun bei dieser gefährlichen Krankheit, damit, wenn jemand sie kriegt, er sich sofort selbst von den Menschen absondert oder absondern läßt und schnellstens mit Arznei Hilfe gesucht wird. Da soll man ihm helfen und ihn in solcher Not nicht verlassen, wie ich oben genügend angezeigt habe, damit so das Gift beizeiten gedämpft wird; nicht allein der einzigen Person, sondern der ganzen Gemeinde zugut, die dadurch vergiftet werden könnte, wenn man die Krankheit ausbrechen und unter andere kommen ließe. Denn so ist jetzt unsere Pest hier zu Wittenberg allein aus der Ansteckung hergekommen; die Luft ist gottlob noch frisch und rein. Aber aus lauter Tollkühnheit und Versäumnis hat sie einige, und nur wenige, vergiftet. Dennoch hat der Teufel sein Freudenspiel mit dem Schrecken und Fliehen, das er unter uns treibt. Gott wolle ihm wehren! Amen.
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Das ist unsere Auffassung und Meinung von dem Fliehen vor dem Sterben. Wenn euch etwas anderes richtig scheinen sollte, dann wolle euch Gott das offenbaren! Amen.
Weil aber dieser Brief im Druck ausgehen soll, damit auch die Unseren ihn lesen, so sehe ich’s für gut an, einen kurzen Unterricht daneben zu stellen, wie man sich in solchen Zeiten des Sterbens auch wegen der Seelen vorbereiten und verhalten soll; wie wir das denn auch mündlich auf der Kanzel getan haben und täglich tun, damit wir auch unserem Amt genug tun, die wir zu Seelsorgern berufen sind.
Erstens soll man das Volk ermahnen, daß es zur Kirche in die Predigt geht und zuhört, daß es Gottes Wort lernt, wie es leben und sterben soll. Denn darauf soll man achthaben: Die, welche so roh und unverbesserlich sind, daß sie Gottes Wort verachten, solange sie leben, soll man auch wiederum in ihrer Krankheit liegen lassen, es sei denn, daß sie mit großem Ernst, mit Weinen und Klagen ihre Reue und Buße beweisen. Denn wer wie ein Heide oder Hund leben will und keine öffentliche Reue darüber hat, dem wollen wir auch das Sakrament nicht reichen oder ihn als Christen annehmen. Er mag sterben, wie er gelebt hat, und sehe für sich zu. Denn wir sollen den Säuen nicht Perlen vorwerfen noch den Hunden das Heiligtum (Matth.7,6). Man findet leider so viel unverschämten, verstockten Pöbel, der weder im Leben noch im Sterben für seine Seele sorgt. Sie gehen hin und liegen, sterben auch dahin wie die Klötze, in denen weder Sinn noch Gedanken sind.
Zum zweiten: daß ein jeder sich selbst beizeiten einrichte und zum Sterben bereite mit Beichten und Sakrament nehmen, alle acht Tage oder vierzehn Tage einmal, sich mit seinem Nächsten versöhne und sein Testament mache, auf daß er, wenn der Herr anklopft und er übereilt würde, ehe Pfarrherr oder Kaplan dazukommen können, gleichwohl seine Seele versorgt und sie nicht versäumt, sondern Gott befohlen habe. Denn es ist nicht gut möglich, wo großes Sterben ist und nur zwei oder drei Seelsorger da sind, daß sie zu allen gehen und einem jeden überhaupt erst alle Dinge sagen und lehren können, die ein Christenmensch in Sterbensnöten wissen soll. Welche aber hierin lässig und säumig sind, die mögen es auf ihre eigene Rechnung setzen, und es ist ihre Schuld, wenn man vor ihrem Bett nicht eine tägliche, besondere Kanzel und einen Altar halten kann, weil sie die allgemeine Kanzel und den Altar so verachtet haben, wozu sie Gott doch berufen und gefordert hat.
Zum dritten: Wenn man aber den Kaplan oder Seelsorger begehrt, soll man sie anfordern oder die Kranken beizeiten und im Anfange anmelden lassen, ehe die Krankheit überhand nimmt und solange noch Sinn und Vernunft da sind. Das sage ich darum: Etliche sind so saumselig, daß sie nicht eher den Pfarrer anfordern oder sich bei ihm anmelden lassen, bis die Seele auf der Zunge sitzt und sie nicht mehr reden können und wenig Vernunft mehr da ist. Da bitten sie dann: Lieber Herr, sagt ihm das Beste vor usw. Aber vorher, als die Krankheit anfing, wünschten sie nicht, daß man zu ihm käme; sondern sagten: Ei, es hat nicht Not, ich hoffe, es soll besser werden. Was soll doch ein frommer Pfarrer mit solchen Leuten machen, die weder für Leib noch Seele sorgen; sie leben und sterben dahin, wie das Vieh. Solchen soll man dann im letzten Augenblick das Evangelium sagen und das Sakrament reichen, wie sie es unter dem Papsttum gewöhnt waren, als niemand gefragt hat, ob sie glauben oder das Evangelium kennen, sondern als man ihnen das Sakrament in den Hals gestoßen hat wie in einen Brotsack. So soll es nicht sein, sondern: Dem, welcher nicht reden oder Zeichen geben kann (besonders wenn er’s so mutwillig versäumt hat), wie er das Evangelium und Sakrament glaubt, versteht und begehrt, dem wollen wir es überhaupt nicht reichen. Denn uns ist befohlen, das heilige Sakrament nicht den Ungläubigen, sondern den Gläubigen zu reichen, welche ihren Glauben aussprechen und bekennen können. Die anderen mögen dahinfahren, wie sie glauben. Wir sind entschuldigt, weil es weder am Predigen, Lehren, Vermahnen, Trösten, Besuchen noch an irgendeinem Amt oder Dienst von uns fehlt.
Das sei in Kürze der Unterricht, den wir den Unseren geben, der nicht für euch in Breslau geschrieben ist. Denn Christus ist bei euch, der wird euch auch, ohne unser Zutun, alles lehren, was euch not ist. Dem sei Lob und Ehre samt Gott dem Vater und dem heiligen Geist in Ewigkeit, Amen.
Weil wir aber an diese Sache gekommen sind, vom Sterben zu reden, so kann ich’s nicht lassen, auch vom Begräbnis etwas zu sagen. Erstens lasse ich die Doktoren der Arznei und alle, die darin bessere Erfahrung haben, darüber urteilen, ob es gefährlich sei, daß man mitten in den Städten Kirchhöfe hat. Denn ich weiß nicht und verstehe mich nicht darauf, ob aus den Gräbern Dunst oder Dampf ausgeht, der die Luft verpestet. Wenn dem aber so wäre, so hätte man gemäß den oben erwähnten Warnungen Grund genug, den Kirchhof außerhalb der Stadt zu haben. Denn wie wir gehört haben, sind wir allesamt schuldig, dem Gift zu wehren, womit man es eben vermag. Denn Gott hat uns befohlen, unseren Leib so zu pflegen, daß wir ihn schonen und erhalten, wenn er uns nicht eine Not zuschickt. Andererseits hat uns Gott befohlen, den Leib auch getrost dran zu wagen und aufs Spiel zu setzen, wenn es die Not erfordert. So sollen wir auf beides, seinen Willen zum Leben und zum Sterben, vorbereitet sein. Denn »niemand lebt sich selber, niemand stirbt sich selbst«, wie St. Paulus Röm.14,7 sagt.
Das weiß ich wohl, daß bei den Alten, sowohl unter den Juden als auch unter den Heiden, sowohl unter Heiligen als auch unter Sündern, der Brauch gewesen ist, das Begräbnis außerhalb der Stadt zu haben. Die Alten sind gewiß so klug gewesen, wie wir nur sein können. Denn so zeigt es auch das Evangelium von St. Lukas, da wo Christus im Stadttor zu Nain den Sohn der Witwe vom Tode auferweckte (der Text besagt: »Man trug ihn zur Stadt hinaus zum Grabe, und es ging viel Volks mit ihr«, Luk.7,12). So ist damals die Sitte des Landes gewesen, die Begräbnisse außerhalb der Städte zu haben. Auch das Grab von Christus selbst war draußen vor der Stadt bereitet. Ebenso kaufte Abraham sein Begräbnis auf dem Acker Ephrons bei der zwiefachen Höhle, worin sich die Patriarchen alle begraben ließen (1.Mose 23,10). Daher heißt es auch in der lateinischen Sprache efferre, das bedeutet »hinaustragen«, was wir mit »zum Grabe tragen« wiedergeben. Denn sie trugen sie nicht nur hinaus, sondern verbrannten die Leichen alle zu Pulver, damit die Luft ja recht rein bliebe.
Darum wäre auch mein Rat, diesen Beispielen gemäß das Begräbnis draußen vor der Stadt einzurichten. Und da wir hier zu Wittenberg einen Kirchhof haben, so sollte uns nicht bloß die Not, sondern auch die Frömmigkeit und Ehrfurcht dazu treiben, ein gemeinsames Begräbnis draußen vor der Stadt zu machen. Denn ein Begräbnis sollte angemessenerweise ein feiner, stiller Ort sein, der von allen anderen Orten abgesondert ist, wohin man mit Andacht gehen und stehen kann, um dort den Tod, das Jüngste Gericht und die Auferstehung zu betrachten und zu beten. So müßte dieser Ort eine Ehren-, ja fast eine heilige Stätte sein, so daß einer mit aller Ehrfurcht darüber gehen könnte, weil ohne Zweifel einige Heilige da liegen. Auch könnte man da ringsherum an den Wänden derartige andachterweckende Bilder und Gemälde malen lassen.
Aber unser Kirchhof, was ist er? Vier oder fünf Gassen und zwei oder drei Märkte sind es, so daß es keinen öffentlicheren und unstilleren Ort in der ganzen Stadt gibt als eben den Kirchhof, wo man täglich, ja Tag und Nacht darüber läuft, und das sowohl Menschen als auch Vieh: Jeder hat von seinem Hause aus eine Tür und eine Gasse, die darauf führt, und es geschieht auf ihm allerlei, vielleicht auch solche Dinge, über die man nicht spricht. Dadurch wird dann die Andacht und Ehrfurcht, die den Begräbnissen gebührt, ganz und gar zunichte. Jeder hält nicht mehr davon, als wenn er über einen Schindanger liefe, so daß der Türke den Ort nicht so in Unehren halten könnte, wie wir es tun. Und man sollte doch da lauter Andacht schöpfen, den Tod und die Auferstehung bedenken und auf die Heiligen, die da liegen, Rücksicht nehmen. Aber wie kann man das in einem öffentlichen Ort, über den jeder laufen muß und der vor jeder Tür offen daliegt. Wenn der Begräbnisort überhaupt in Ehren stehen soll, so wollte ich lieber in der Elbe oder im Walde liegen. Aber wenn das Begräbnis draußen an einem abgesonderten, stillen Ort, wo niemand durch- noch darüberhinliefe, läge, so wäre es gar geistlich, ehrbar und heilig anzusehen und könnte auch so hergerichtet werden, daß er die, die darauf gehen wollen, zur Andacht reizte. Das wäre mein Rat. Wer so tun will, der tue es. Wer es besser weiß, der mache immer weiter wie bisher. Ich bin niemandes Herr.
Endlich aber ermahnen und bitten wir euch um Christi willen, mit uns kämpfen zu helfen — mit Bitten zu Gott und mit Lehren gegen die größte geistliche Pest des leidigen Satans, womit er jetzt die Welt vergiftet und ansteckt, namentlich durch die Sakramentslästerer, obwohl auch außer ihnen viele andere Sekten hochkommen. Denn der Satan ist zornig und fühlt vielleicht, daß der Tag Christi nahe ist. Darum tobt er so gräulich und will uns durch seine Schwarmgeisterei den Heiland Jesus Christus nehmen. Unter dem Papsttum war er lauter Fleisch, so daß auch Mönchskutten heilig sein mußten. Jetzt will er lauter Geist sein, so daß auch Christi Fleisch und Wort nichts sein sollen. Sie haben mir auf mein Büchlein längst geantwortet. Mich wundert aber, daß ihre Antwort bis auf diesen Tag nicht hierher nach Wittenberg gekommen ist. Ich will, wenn Gott es schenkt, noch einmal darauf antworten und sie dann fahren lassen. Ich sehe ja doch, daß sie davon nur schlimmer werden. Sie sind wie eine Wanze, die schon an sich sehr stinkt: Je mehr man sie zerreibt, um so ärger stinkt sie. Ich hoffe, wer noch zu retten ist, für den sei in meinem Büchlein genug geschrieben. Denn es sind, gottlob, dadurch viele aus ihrem Rachen gerissen, und noch viel mehr in der Wahrheit gestärkt und befestigt worden.
Christus, unser Herr und Heiland, erhalte euch alle in reinem Glauben und heißer Liebe unbefleckt und unsträflich auf seinen Tag, zusammen mit uns allen. Amen.
Bittet für mich armen Sünder!
Martin Luther aus der Walch Ausgabe